Armbewegungen von der Hirnoberfläche ablesen
Ein Forschungsteam hat eine Methode entwickelt, die risikoarme Schnittstellen zwischen Gehirn und Computer ermöglicht
Freiburg, 19.06.2012
Für Patientinnen und Patienten mit schweren Lähmungen könnten sie der Schlüssel zu einem eigenständigeren Leben sein: Schnittstellen zwischen Gehirn und Computer, die den reinen Gedanken an eine Bewegung in die Steuerung eines Roboterarms oder Mauszeigers umsetzen. Forscherinnen und Forschern aus Freiburg und London/England ist es erstmals gelungen, die Gehirnaktivität einer Armbewegung direkt an der Oberfläche des Hirns zu entdecken und sie, noch während sie andauert, zur Steuerung eines Mauszeigers zu benutzen. Das berichten der Neurowissenschaftler Tomislav Milekovic und seine Kolleginnen und Kollegen in der aktuellen Ausgabe der Zeitschrift „Journal of Neural Engineering“.
Zum Erstaunen der Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler reichten Elektroden auf nur zwei Quadratzentimetern Fläche aus, um das Bewegungssignal zu entschlüsseln. Damit könnten Hirn-Computer-Schnittstellen mit kleinen, leicht einzusetzenden Elektrodenanordnungen auskommen. In der Studie wurden nur zwei Bewegungsrichtungen identifiziert. Als nächstes wollen die Wissenschaftler daher mit feineren Elektroden und einer längeren Trainingsphase Bewegungen in beliebiger Richtung und komplexere Bewegungsabläufe entschlüsseln. Dies wird eine wichtige Forschungskomponente in BrainLinks – BrainTools, dem neuen Exzellenzcluster der Universität Freiburg, sein.
Das Team erhielt von Epilepsiepatienten, die zu Diagnosezwecken zeitweise Elektroden auf ihrem Gehirn trugen, die Erlaubnis für einen Test: Die Probanden bewegten mit einem Steuerknüppel einen Punkt auf dem Monitor nach links oder rechts, während die Forscher die Aktivität in dem Gehirnbereich maßen, der für Bewegungen verantwortlich ist. So lernte der Computer die Hirnaktivität korrekt abzulesen. Als die Probanden in einem zweiten Durchgang den Knüppel bewegten, steuerte ihre Hirnaktivität direkt den Punkt. Trotz der kurzen Trainingsdauer, bedingt durch die medizinische Behandlung, hat der Computer bei bis zu 86 Prozent der Durchläufe die Bewegungsrichtung korrekt erkannt.
Von besonderer Bedeutung, so die Autorinnen und Autoren der Veröffentlichung, ist am Freiburger Ansatz die Art der Elektroden: Die Messfelder werden nicht, wie in bisherigen Versuchen, ins Gehirn eingepflanzt, sondern auf seine Oberfläche gelegt. Damit ist das Risiko einer Verletzung des Gehirns deutlich verringert. Auch kommt es nicht zu Veränderungen der Signale, wie sie auftreten, wenn das Gewebe auf ins Gehirn ragende Elektroden reagiert.
Bildunterschrift:
Schon eine kleine Gruppe von Elektroden (rot) in einem auf das Gehirn gelegten Gitter (blau) reichten dem Computer (im grün unterlegten Zeitintervall) aus, um die Gehirnaktivität einer Bewegung nach rechts (rote Kurven) von der nach links (blaue Kurven) zu unterscheiden.
Originalveröffentlichung:
T. Milekovic, J. Fischer, T. Pistohl, J. Ruescher, A. Schulze-Bonhage, A. Aertsen, J. Rickert, T. Ball und C. Mehring (2012) An online brain–machine interface using decoding of movement direction from the human electrocorticogram. J. Neural Eng. 9 046003
http://iopscience.iop.org/1741-2552/9/4/046003
Kontakt:
Prof. Dr. Ad Aertsen
Institut für Biologie / Bernstein Center Freiburg
Albert-Ludwigs-Universität Freiburg
Tel.: 0761/203-2718
Fax: 0761/203-2860
E-Mail: ad.aertsen@biologie.uni-freiburg.de