Gedanken in die Tat umsetzen
Wissenschaftler aus Freiburg entwickeln neue Verfahren zur Prothetik
Freiburg, 17.01.2008
Jede Bewegung, die wir ausführen – jeder Griff und jeder Schritt – hat ihren Ursprung im Gehirn. Die Signale des Gehirns auch zur Steuerung von Prothesen oder zur Bedienung eines Computers zu nutzen, um somit die Grundlagen für die Entwicklung einer Prothesenansteuerung für schwerstgelähmte Patienten zu schaffen, ist das Ziel von Carsten Mehring und seiner Arbeitsgruppe am Bernstein Zentrum für Computational Neuroscience und am Institut für Biologie I der Universität Freiburg. Gemeinsam mit Kollegen vom Universitätsklinikum Freiburg konnten die Wissenschaftler zeigen, dass sich mit Hilfe von auf die Hirnoberfläche aufgesetzten Elektroden kontinuierliche Armbewegungen vorhersagen lassen. Die Arbeit wird in der Januar-Ausgabe der Fachzeitschrift "Journal of Neuroscience Methods" publiziert (Journal of Neuroscience Methods, 2008 Jan 15 167/1 pp. 105-114. doi: 10.1016/j.jneumeth.2007.10.001)
Die Wissenschaftler um Mehring nutzten zur Messung elektrischer Signale des
Gehirns ein so genanntes "semi-invasives" Verfahren, die
Elektrocorticographie (ECoG). "Wir suchen damit einen optimalen Kompromiss
zwischen voll-invasiven und nicht-invasiven Methoden", erklärt Mehring.
Bei nicht-invasiven Methoden wie dem EEG werden Elektroden auf der Kopfhaut
angebracht. Das neuronale Signal wird auf der Schädeldecke gemessen und ist von
entsprechend geringer räumlicher Auflösung. Bei voll-invasiven Methoden
werden die Elektroden wenige Millimeter tief in das Gehirn implantiert, so dass
die Aktivität einzelner Neurone oder Gruppen von Neuronen registriert werden
kann. Das Signal ist sehr viel genauer und es reicht aus, um komplexe
Bewegungen zu steuern. Erste klinische Studien an schwerstgelähmten Patienten
wurden mit dieser Methode bereits erfolgreich durchgeführt. Noch lässt sich
allerdings kaum sagen, inwiefern das Gehirn durch die implantierten Elektroden
verletzt werden kann oder wie stabil die so gemessenen Signale über längere
Zeit sein werden.
Beim ECoG werden die Elektroden direkt auf der Gehirnoberfläche implantiert und
dringen nicht in das Gehirngewebe ein. Sie messen Spannungsveränderungen an der
Hirnoberfläche, die von großen Gruppen von Neuronen hervorgerufen werden. Diese
Methode ist weniger invasiv und die gemessenen Signale sind voraussichtlich
über längere Zeit stabil. "Wir möchten überprüfen, ob sich diese Methode
zur Steuerung von Bewegungen eignet und somit eine mögliche Alternative zu
voll-invasive Methoden darstellt", erklärt Mehring und fährt fort:
"Unsere Ergebnisse geben uns die Hoffnung, dass das funktionieren
könnte".
Seine Untersuchungen führte Mehring an Epilepsiepatienten durch, denen zur
Vorbereitung auf eine Gehirnoperation bereits Elektroden unter die Schädeldecke
implantiert waren. Ihre Hirnaktivität wurde aufgezeichnet, während sie durch Betätigung
eines Handgriffs mit einem Cursor einen Zielpunkt auf einem Bildschirm
ansteuerten. Mit Hilfe mathematischer Algorithmen ist es den Wissenschaftlern
gelungen, aus diesen Messungen Hirnsignale zu extrahieren, die mit der
Cursorbewegung korrelierten und mit denen eine kontinuierliche Rekonstruktion
der Bewegung möglich war. In einem nächsten Schritt möchten Mehring und seine
Kollegen nun untersuchen, wie gut sich die Strategie nutzen lässt, um nur mit
Hilfe der neuronalen Aktivität einen Cursor auf dem Bildschirm zu steuern, ohne
dass der Proband dabei den Arm bewegt. "Vorherige Studien zeigen, dass
sich die Rekonstruktion der Bewegung aus den Hirnsignalen auf diese Weise noch
verbessern lässt, weil der Proband lernen kann seine Hirnaktivität an die Cursorsteuerung
anzupassen", so Mehring. "Es besteht die Hoffnung, dass, basierend
auf solchen Methoden, in Zukunft eine Prothesenansteuerung oder ein
Kommunikationsmittel für schwerstgelähmte Patienten entwickelt werden kann. Bis
zur praktischen Anwendung solcher Geräte am Patienten müssen allerdings noch
viele wissenschaftlich-technische Probleme gelöst werden".
Kontakt:
Dr. Carsten Mehring
Institut für Biologie I und Bernsteinzentrum für Computational Neuroscience
Tel.: 0761/203-2543
E-Mail: mehring@biologie.uni-freiburg.de
Tobias Pistohl
Institut für Biologie I und Bernsteinzentrum für Computational
Neuroscience
Tel.: 0761/203-2580
E-Mail: pistohl@biologie.uni-freiburg.de
BU: Links: Beispiel eines Versuchsablaufes. Probanden bewegten mit der Hand einen Cursor (grün) mit welchem sie eine Reihe von Zielpunkten (gelb) auf einem Bildschirm ansteuerten. Die Verlaufskurve des Cursors sowie die in der Vergangenheit durchlaufenen Zielpunkte sind für die Probanden nicht sichtbar. Rechts: Die Cursorbewegung entlang der X-Achse (oben) und der Y-Achse (unten) bei einem solchen Experiment (grüne Kurve). Im Vergleich dazu die Rekonstruktion der Bewegung aus der Gehirnaktivität (rote Kurve). (Nachdruck: Journal of Neuroscience Methods)