Signalverarbeitung im Hintergrundrauschen des Gehirns
Wie Sinnesreize trotz neuronaler Hintergrundaktivität verlässlich verarbeitet werden können
Freiburg, 24.07.2008
Das Gehirn ist ständig aktiv. Egal ob wir wach sind, schlafen, denken oder entspannen, die Nervenzellen senden Signale. Wissenschaftler vom Bernstein Zentrum für Computational Neuroscience (BCCN) und der Universität Freiburg haben in einem Computermodell untersucht, wie Sinnesreize oder andere Informationen angesichts einer solchen Hintergrundaktivität verlässlich verarbeitet und weitergeleitet werden können. Ihre Arbeit gibt Aufschluss darüber, welche Form der neuronalen Informationsverschlüsselung eine optimale Weiterleitung ermöglicht.
Wenn wir sehen, hören oder riechen verarbeitet das Gehirn die aufgenommenen
Informationen Schritt für Schritt in aufeinander folgenden Verschaltungsebenen.
Neurone in jeder Ebene geben Signale in Form von elektrischen Impulsen an die
nächste Ebene weiter. Die neuronalen Verschaltungen, die einem solchen
"Feed Forward System" zu Grunde liegen, wurden schon vielfältig
untersucht. Meist wurde dabei aber nicht berücksichtigt, dass das Feed Forward
System in die komplexe neuronale Architektur des Gehirns eingebettet ist, von
dessen Hintergrundaktivität beeinflusst wird und seinerseits auf diese
zurückwirkt. Der Frage, wie verlässlich Signale in einem solchen System weitergegeben
werden können, sind nun Dr. Arvind Kumar,
Prof. Dr. Stefan Rotter und Prof.
Dr. Ad Aertsen vom BCCN und der
Universität Freiburg nachgegangen. Mit einem komplexen Computermodell
simulierten die Wissenschaftler die Funktion von 50.000 Neuronen möglichst
realitätsnah.
Jede Sinnesinformation wird im Gehirn in elektrische Impulse der Neurone
übersetzt. Nach welchem Prinzip Informationen dabei verschlüsselt werden, ist
noch nicht im Detail bekannt und unterscheidet sich von Fall zu Fall. Ein
Sinnesreiz kann zum Beispiel die Impulsrate bestimmter Neurone erhöhen. Je
stärker der Reiz, desto mehr Impulse sendet das Neuron pro Zeiteinheit – man
spricht von einem "Ratencode". Ein Sinnesreiz kann aber auch dazu
führen, dass mehrere Neurone gleichzeitig ein Signal aussenden, so dass
synchrone "Impulspakete" durch das Feed Forward System transportiert
werden. Auch die Hintergrundaktivität des Gehirns ist nicht immer gleich – je
nach mentalem Zustand senden einzelne Zellen des Gehirns ihre Signale mehr oder
weniger regelmäßig und synchron. In ihrem Modell untersuchten die
Wissenschaftler, wie diese verschiedenen Formen der Informationsweitergabe und
der Hintergrundaktivität sich gegenseitig beeinflussen.
Wie Kumar und seine Kollegen zeigten, ist nicht jede Form der Informationsweitergabe
bei jeder Art von Hintergrundaktivität möglich. Eine allzu synchrone neuronale
Hintergrundaktivität macht nahezu jede gezielte Signalweiterleitung unmöglich.
Ein asynchrones Hintergrundrauschen hingegen erlaubt eine zuverlässige Verarbeitung
von Sinnesinformationen und kann sogar konstruktiv zur stabilen Weitergabe des
Signals beitragen. Die Wissenschaftler zeigten außerdem, dass sich Impulspakete
synchroner neuronaler Aktivität weit verlässlicher weiterleiten ließen, als
eine erhöhte Impulsrate. Ihre Arbeiten geben wichtige Hinweise darauf, wie
Sinnesinformation verschlüsselt sein muss, um effektiv im Gehirn verarbeitet zu
werden.
Originalveröffentlichung:
Kumar, A., Rotter, S. und Aertsen, A. Conditions for propagating synchronous spiking
and asynchronous firing rates in a cortical network model.
J Neurosci. 2008 May 14;28(20):5268-80. doi:10.1523/JNEUROSCI.2542-07.2008
Kontakt:
Prof. Dr. Ad. AertsenInstitut für Biologie III
Albert-Ludwigs-Universität
Schänzlestr. 1
79104 Freiburg i. Br.
Tel.: 0761/203-2718
www.brainworks.uni-freiburg.de